Gehaltsgerechtigkeit – zwischen Ideal und Eigenverantwortung

Gerechte Bezahlung: Ein Begriff, über den selten ohne Emotionen diskutiert wird. Was aber bedeutet „gerecht“ eigentlich – und wer legt das fest? In den einen Gesprächen darüber geht es um Gleichheit, in anderen um Chancengleichheit. Die Vorstellung, dass am Ende alle das Gleiche verdienen, mag auf den ersten Blick charmant wirken – doch sie blendet zentrale Aspekte aus: individuelle Entscheidungen, Risikobereitschaft, Lebensmodelle und auch unternehmerisches Denken.

Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit – klingt nach einem einfachen Prinzip. In der Realität wird es jedoch schnell kompliziert: Wer entscheidet, was gleichwertig ist? Und wann wird eine Lücke zur Ungerechtigkeit?

Wenn Regulierung auf Realität trifft

Immer mehr gesetzliche Initiativen auf nationaler und europäischer Ebene, z.B. die EU-Richtlinie 2023/970 zur sogenannten Entgelttransparenz, zielen auf sogenannte Entgeltgerechtigkeit ab. Der Grundgedanke: Gehaltstransparenz soll Diskriminierung verhindern und gleiche Bezahlung für gleiche oder gleichwertige Arbeit sicherstellen. Dazu gehören Vorgaben wie:

  • keine Frage mehr nach dem vorherigen Gehalt bei Bewerbungen
  • Pflicht zur Angabe von Gehaltsspannen in Stellenausschreibungen
  • detaillierte Berichtspflichten für Unternehmen
  • Umkehr der Beweislast bei Diskriminierungsklagen auf den Arbeitgeber

Die Auswirkungen dieser Regelungen sind enorm. Unternehmen stehen vor neuen bürokratischen Anforderungen, müssen Gehaltsmodelle überarbeiten und Prozesse juristisch absichern. Was als Hebel für Fairness gedacht war, droht in vielen Fällen zu einem Verwaltungsakt zu werden, der weniger mit Leadership als mit Administration zu tun hat.

 

„Es geht im Rahmen einer Führungsrolle immer weniger um Leadership als um administrative Themen.“ Dirk Schuran, Rainmaker Society

 

Die große Frage: Was ist „gleichwertig“?

Ein Kernproblem liegt in der Definition von Gleichwertigkeit. Wie lässt sich objektiv beurteilen, ob eine Tätigkeit in der Verwaltung denselben Wert hat wie eine in der Produktion? Oder ob ein Pilot mit einem Flugbegleiter gleichgestellt werden sollte? Es ist ein schmaler Grat zwischen dem Wunsch nach Fairness und der Realität wirtschaftlicher Logik.

In der Praxis entstehen schnell Grauzonen: Tätigkeiten unterscheiden sich nicht nur im fachlichen Anspruch, sondern auch in Verantwortung, Risiko, Wirkung auf das Unternehmen und der Bereitschaft zur Flexibilität. Diese Unterschiede pauschal gleichzusetzen, kann zu neuen Ungerechtigkeiten führen – nur diesmal in die andere Richtung.

Gender Pay Gap: Differenzieren statt Pauschalisieren

Ein häufig genannter Beleg für Gehaltsungleichheit ist der Gender Pay Gap – also die statistische Lücke zwischen den Durchschnittsgehältern von Männern und Frauen. Unbereinigt liegt sie bei etwa 16 %, bereinigt bei rund 6 %. Doch diese Zahlen brauchen Kontext. Ein Großteil dieser Differenz erklärt sich aus strukturellen Faktoren:

  • höhere Teilzeitquote bei Frauen
  • längere Erwerbsunterbrechungen durch Familienarbeit
  • höhere Vertretung in weniger gut bezahlten Branchen
  • geringere Präsenz in Führungspositionen
  • geringere Mobilität oder Risikobereitschaft bei Jobwechseln

Wenn Frauen und Männer in derselben Funktion, Branche und im selben Unternehmen arbeiten, schrumpft die Lücke auf unter 1 %. Das ist nicht nichts – aber es relativiert die Diskussion um strukturelle Diskriminierung erheblich.

Was viele Studien ebenfalls zeigen: Männer reagieren häufiger auf Gehaltsanfragen, sind offensiver in Verhandlungen und sprechen offener über ihre Ansprüche. Das sind keine genetischen Unterschiede, sondern häufig gesellschaftlich antrainierte Verhaltensmuster – aber sie wirken sich aus.

 

„Wenn wir gleichverteilt Menschen mit hochattraktiven, gutbezahlten Stellenausschreibungen anschreiben, reagieren mehr Männer auf unsere Ansprache. Männer reden offener über Gehalt, Männer sind aggressiver in Verhandlungen.“ Dirk Schuran, Rainmaker Society

 

Karriereentscheidungen: Mut schlägt Gleichmacherei

Der wichtigste Faktor für Gehalt ist oft nicht das Geschlecht – sondern die Entscheidung für eine bestimmte Laufbahn. Wer bewusst in risikoreichere oder wachstumsstarke Branchen geht, wer bereit ist, Führungsverantwortung zu übernehmen oder ins kalte Wasser eines Start-ups zu springen, hat langfristig höhere Einkommenschancen.

Es sind nicht die Gesetzbücher, die diese Entscheidungen treffen – sondern jeder für sich. Wer immer auf Nummer sicher geht, wird selten den vollen Bonus einsammeln. Wer in Verhandlungen eher abwartet, statt zu fordern, wird weniger erreichen. Wer Verantwortung scheut, wird auch weniger Gehalt rechtfertigen können.

 

„Ich glaube nicht an strukturelle Diskriminierung. Der Hauptgrund des Gender Pay Gaps ist die aktive Berufswahl des Individuums.“ Dirk Schuran, Rainmaker Society

 

Selbstverständlich gibt es ungerechte Mechanismen – von unbewussten Vorurteilen bis hin zu mangelnder Sichtbarkeit. Aber die Antwort darauf liegt selten in noch mehr Regulierung. Sondern in der Förderung von Mut, Netzwerkkompetenz und klarem Karrierebewusstsein.

 

„Deutlich mehr Risikobereitschaft ist das, was wir brauchen, weniger bürokratische Regelungen und dafür mehr Marktwirtschaft.“ Dirk Schuran, Rainmaker Society

 

Warum weniger Vorschriften nicht weniger Fairness bedeuten

Je komplexer eine Gesellschaft wird, desto größer wird der Wunsch nach Regulierung. Doch nicht jede Regel macht die Welt gerechter – manche machen sie einfach nur komplizierter. Die Vorstellung, dass sich jede Form von Ungleichheit gesetzlich ausgleichen lässt, verkennt die Vielfalt von Lebensmodellen, Entscheidungen und Prioritäten.

Viel entscheidender als neue Vorschriften ist die Frage: Wie schaffen wir Räume, in denen Menschen Verantwortung übernehmen, sich weiterentwickeln und bewusst entscheiden können? Wie fördern wir individuelle Karrierepfade – statt sie zu standardisieren?

 

„Wir brauchen mehr Macher – und weniger Regulierungswut. Lasst uns alle für uns selbst Verantwortung übernehmen.“ Dirk Schuran, Rainmaker Society

 

Verantwortung ist das neue Gerecht

Gerechtigkeit im Berufsleben ist wichtig – aber sie beginnt nicht bei Gesetzen, sondern bei uns selbst. Wer mehr erreichen will, braucht Klarheit über die eigenen Ziele, den Mut zu fordern, die Bereitschaft zu wachsen – und die Fähigkeit, mit Rückschlägen umzugehen.

Anstatt auf den nächsten politischen Eingriff zu warten, lohnt sich der Blick auf das, was du selbst in der Hand hast: Deine Entscheidungen, dein Netzwerk, dein Verhandlungsgeschick.

Denn echte Fairness entsteht nicht durch Gleichmacherei – sondern durch gleiche Chancen und die Freiheit, sie zu nutzen.

Übrigens: Vor wenigen Tagen habe ich mich wieder mal über eine massive Ungerechtigkeit aufgeregt. Es ging um den Vergleich von Pensionszahlungen für Beamte versus der Rente für Normalbeschäftigte. Beamte zahlen nicht in die Rentenkasse ein und bekommen dann im Ruhestand trotzdem Geld – voll steuergeldfinanziert. Und Beamte bekommen dann 71,75% des letzten Gehalts, während Angestellte 48% bekommen. Ist das gerecht?!

Über Dirk Schuran

Dirk Schuran ist Ex-CSO von COMATCH, mehrfacher Gründer und Business Angel. Er hat über 30 Stationen im Lebenslauf – von der politischen Arbeit, Rollen im Ehrenamt, über die Zeit in der Medienindustrie bis zu Leadership-Rollen im StartUp. Als alleinerziehender Vater, Ex-Marathonläufer und Profi-Netzwerker bringt er Perspektive, Klarheit und Energie in die moderne Karriereberatung. Seine Mission: Talente zu stärken, nicht zu verbiegen.

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