Low Performer. Wie du sie erkennst – bevor du sie einstellst

Die Frage, wie man mit Low Performern im Team umgeht, wird regelmäßig auf LinkedIn, in HR-Foren und auch bei Führungskräfte-Coachings diskutiert. Meist geht es um Trennungen, Probezeit-Regelungen und rechtssichere Prozesse.

Das alles ist wichtig. Was wäre jedoch, wenn nicht erst nach dem „Final Cut“ darüber nachgedacht würde? Denn wer sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt, sollte schon früher reagieren, nämlich wenn es die ersten Anzeichen gibt, dass DAS System nicht mehr funktioniert – und nicht jemand IM System nicht funktioniert. Die zentrale Frage lautet: Warum wurde diese Person überhaupt eingestellt?

In vielen Fällen ist die Antwort ernüchternd: Der Recruiting-Prozess war nicht auf Performance ausgelegt, sondern auf Sympathie, Harmonie oder Lebenslaufkriterien. Man sprach „ein gutes Gespräch“, fühlte sich verstanden, und traf auf jemanden, der sich gut verkaufen konnte. Nur: Zwischen einem überzeugenden Gespräch und langfristiger Leistung liegt ein erheblicher Unterschied. Und genau hier lohnt es sich, genauer hinzuschauen.

Low Performer: ein Begriff, viele Missverständnisse

Nicht jede Person, die still ist, wenig Eigeninitiative zeigt oder Zeit braucht, um sich einzuarbeiten, ist automatisch ein Low Performer. Der Begriff wird inflationär benutzt – und verliert dadurch an Präzision. Entscheidend ist nicht, wie jemand wirkt, sondern ob er oder sie dauerhaft unter dem möglichen Beitrag für die Rolle bleibt, ohne strukturelle Gründe oder erkennbaren Willen zur Veränderung.

Woran Low Performance wirklich zu erkennen ist:

  •       an einer konstanten Passivität,
  •       an einem Mangel an Verantwortung – sowohl im Handeln als auch im Denken,
  •       an der Tendenz, Ergebnisse zu relativieren oder auf Umstände zu verweisen,
  •       und daran, dass Entwicklung entweder abgelehnt oder inhaltsleer besprochen wird.

Führungsrollen müssen diese Muster früh erkennen – und zwar bereits im Auswahlprozess.

Setzen klassische Auswahlverfahren die falschen Zeichen?

Oft. Das Problem liegt nicht immer in den Personen, sondern im System. Klassische Recruiting-Prozesse sind so gestaltet, dass sie Menschen bevorzugen, die sich gut präsentieren können. Lebensläufe, Anschreiben, strukturierte Interviews – all das belohnt rhetorisches Geschick und sicheres Auftreten. Was fehlt, ist ein realistisches Bild der tatsächlichen Arbeitsweise, Entscheidungsfähigkeit und Haltung.

Was dadurch entsteht, ist ein Bias hin zu Anpassung. Wer die richtigen Worte findet, auf die Standardfragen vorbereitet ist und ein wenig Smalltalk kann, kommt durch. Tiefere Aspekte wie Eigenverantwortung, Klarheit in der Analyse, Resilienz unter Druck oder auch Ambiguitätstoleranz bleiben nach diesen Kriterien außen vor. Doch diese Faktoren entscheiden später über Performance – und damit über Teamdynamik, Ergebnisqualität und Entwicklungspotenzial.

Interviews, die Leistung abbilden – nicht nur Verhalten

Ein guter Gesprächsverlauf ist kein Qualitätsmerkmal. Im Gegenteil: Wenn Gespräche allzu glatt verlaufen, lohnt es sich, genauer hinzusehen. Denn echte Leistungsträger:innen wollen nicht gefallen – sie wollen verstehen, beitragen und herausgefordert werden. Sie fragen kritisch nach, zeigen Ambivalenzen auf, reflektieren differenziert. Etwas, das Low Performern fehlt. Dort bleibt alles auf der Oberfläche: „Ich bin teamfähig, zielorientiert, lösungsfokussiert.“

Wer das ändern will, braucht nicht zwangsläufig ein neues Toolset, es reicht Klarheit über die Haltung, mit der Interviews geführt werden. Fragen, die wirklich etwas zeigen, klingen anders:

  •       Wie gehst du mit widersprüchlichen Erwartungen um?
  •       Wann hast du zuletzt deine Position überdacht?
  •       Was würdest du tun, wenn dein eigenes Ziel dem des Teams widerspricht?

Solche Fragen öffnen kein Schaubild – sie zeigen den Menschen. Und sie zeigen, ob jemand bereit ist, Verantwortung zu übernehmen – nicht nur für Ergebnisse, sondern für das eigene Denken und Tun.

Die kritische Phase: erste Wochen statt erstes Jahr

Selbst mit den besten Prozessen lässt sich nicht jede Fehleinschätzung zu neuen Mitarbeitern vermeiden. Aber was viele Organisationen übersehen, ist die eigentliche Chance zur Differenzierung in den ersten Wochen. Die Probezeit wird als Sicherheitsnetz für beide Seiten gesehen – dabei ist sie vor allem ein Gestaltungsraum.

Wer in dieser Zeit mit klaren Erwartungen arbeitet, realistische Ziele formuliert, enges Feedback ermöglicht und Reflexionsräume schafft, erkennt früh, wie jemand arbeitet – nicht nur, wie jemand wirkt. Und genau das ist entscheidend. Denn Low Performer bleiben in vagen Systemen oft länger, als sie sollten. High Performer hingegen brauchen früh Orientierung und fordern sie auch aktiv ein.

Kultur wirkt vor dem ersten Gespräch

Low Performer spüren, ob sie im System bestehen können – noch bevor sie eingestellt sind. Und High Performer tun das ebenfalls. Wer sich mit „flachen Hierarchien“, „agiler Arbeitsweise“ und „tollem Teamspirit“ vermarktet, aber keine echten Leistungsmaßstäbe kommuniziert, zieht Menschen an, die sich genau in dieser Unschärfe wohlfühlen. Was fehlt, ist Klarheit: Welche Werte gelten wirklich? Welche Verhaltensweisen sind bei uns nicht verhandelbar? Und was passiert, wenn sie nicht gelebt werden?

Wer hier mutig ist, gewinnt. Denn je konkreter die eigene Kultur kommuniziert wird – nicht nur nach außen, sondern auch in jedem Gespräch – desto stärker ist die Selbstselektion. Gute Leute erkennen, dass hier etwas zählt. Andere suchen weiter.

Recruiting ist ein Spiegel – kein Filter

Am Ende geht es nicht um die perfekte Frage oder das eine Tool, das alles löst. Es geht darum, ob Organisationen bereit sind, Recruiting als strategisches Führungsinstrument zu sehen – nicht als Verwaltungsprozess. Denn jede Entscheidung in der Auswahl prägt die Kultur. Und jede Kultur prägt wiederum, wer sich angesprochen fühlt.

Wer Low Performer nicht im Team will, muss aufhören, Prozesse zu bauen, die genau solche Profile durchlassen. Das bedeutet auch: weniger Anpassung, im Zweifel weniger Sympathie, aber dafür mehr Substanz.

Low Performer zu erkennen, bevor man sie einstellt, ist kein Mythos – aber es erfordert eine gewisse Konsequenz: in der Sprache, im Prozess, in der Kultur. Fehlgriffe sind trotz allem unvermeidbar, die Strukturen entscheiden, wer sich darin wiedererkennt. Alle anderen werden von selbst Abstand nehmen.

Recruiting ist keine Risikoabwägung. Es ist die strategischste Entscheidung, die Führungskräfte treffen. Wer von Anfang an klar handelt, hat später weniger zu klären.

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