Mit mehr Achtsamkeit zu mehr Umsatz?

„Achtsamkeit bedeutet, sich im aktuellen Augenblick der eigenen Gedanken, der körperlichen Verfassung und der Umgebung bewusst zu sein – neugierig, urteilsfrei und wohlwollend“, schreibt Dr. Martina Weifenbach in ihrem neu erschienen und von ihr herausgegebenen Buch „Erfolgsformel Achtsamkeit – bewusst führen, nachhaltig gewinnen“.

Seit Jahren beschäftigt sie sich mit dem Thema Achtsamkeit und wie sich Achtsamkeitspraktiken positiv auf den Outcome in Teams bzw. in Unternehmen auswirken. Ihr Interesse kam schon früh und aus der eigenen Erkenntnis heraus: „Durch Yoga und Meditation bin ich selbst mehr zu mir gekommen. Ich war zufriedener und vor allem produktiver. Aus der Erfahrung heraus habe ich begonnen, mich mit der wissenschaftlichen Forschung dazu zu beschäftigen“, erzählt sie im Interview.

Martina Weifenbach
Martina Weifenbach

Pflichtbewusstsein oder Überschätzung? Wieso glaubst Du, dass Mitarbeitende über ihre Grenzen gehen?

Das hat verschiedene Gründe. Zum einen sind wir durch die Art Schule und Systeme dazu erzogen worden, LeistungsträgerInnen zu sein. Gleichzeitig haben wir aber nie die Fähigkeit entwickelt, wahrzunehmen, was unser Körper gerade braucht und wo unsere Grenzen sind. Wir können keine Grenzen setzen bzw. wir nehmen sie nicht richtig wahr.

Aus neurobiologischer Sicht setzen der Präfrontale Kortex, die Amygdala und unser Somatisches System Signale. Unser Somatisches System schickt dem Gehirn die Botschaft, dass jetzt eine Pause notwendig wäre, doch der Präfrontale Kortex widersetzt sich: Das Ziel muss zuerst erreicht werden. Die Bereiche arbeiten nicht im Team.

Wie können Führungskräfte für mehr Gesundheit und Achtsamkeit im Team bzw. im Unternehmen sorgen?

Achtsamkeitspraktiken helfen, mit dem Thema Stress umzugehen. 68 % der Mitarbeitenden sehen ihre Führungskraft als 1. Ansprechpartner, wenn zu viel Druck empfunden wird. Die Führungskraft muss dementsprechend vorleben, wie der achtsame Umgang gelebt werden kann. Das ermöglicht auch den Mitarbeitenden, diesen Weg zu gehen, denn zu 80 % lernen wir aus der Erfahrung, nur zu 20 % aus der Theorie. Wir müssen es selbst leben, um es zu verstehen und zu verinnerlichen.

Bei den Bereichen Achtsamkeit und Achtsamkeitspraktiken schauen wir auf 20 Jahre Forschung zurück. Innerhalb von wenigen Minuten wird durch diese Praktiken unser Stresslevel gesenkt. Das wirkt schon in 2 Minuten oder auch weniger. Wenn der Körper zu viele Stresshormone produziert, dann hat das Auswirkungen auf die Konzentration, Leistungsfähigkeit, Produktivität und die Gesundheit.

Krankenfehlstände sind in den letzten Jahren um 30–40 % gestiegen (je nach Studie). Im Schnitt haben wir, je nach Statistik, 14,3–30,3 Fehltage im Jahr. In harten Fakten sind das extreme Kosten für die Arbeitgeber. Immer weiter, immer mehr Leistung ist bei diesen Daten überhaupt nicht zielführend.

Auch bedingt durch Themen wie Fachkräftemangel, Generationenwechsel und Personalabbau – weniger Menschen müssen mehr leisten – erhöht sich der Druck auf die wenigen Verbleibenden. Das sind Fakten.

Was macht Achtsamkeit im Team?

Achtsamkeit startet nicht im Team, sondern bei einem selbst. Wenn ich mit mir als Mensch verbunden bin, trainiere ich meine Wahrnehmung und meine Empathie mit mir selbst. Ist dieser „Mitgefühlmuskel“ trainiert, schärft das auch das Bewusstsein dafür, wie es meinem Gegenüber geht, und beeinflusst, wie das Miteinander aussieht.

Achtsamkeit hilft auch, mit Themen wie Fehlschläge, Unsicherheiten oder Risiken und Herausforderungen umzugehen. Um solche Themen anzusprechen, braucht es Vertrauen. Mit den Achtsamkeitspraktiken wird gezielt Mitgefühl geübt. Das stärkt Areale im Gehirn, die helfen, in Verbindung mit uns und anderen zu treten. Um Übungen wie Momente der Dankbarkeit oder aktives Zuhören gut umzusetzen, braucht es eine sehr gute Anmoderation der Führungskräfte. So kann der sichere Rahmen geschaffen werden, um sich zu öffnen.

Wie korreliert der Output der einzelnen Teams mit der Achtsamkeit im Team?

Vor kurzem habe ich ein Team begleitet, das unter starkem Stress und Druck gearbeitet hat. Mit den Praktiken haben wir es geschafft, das Mindset zu verändern. Vom Team kam die Rückmeldung, dass sie bessere Entscheidungen treffen konnten als in einem anderen Kontext, dass die Kommunikation unter Druck besser geworden sei und nicht nur Reaktion stattgefunden hätte, sondern auch Raum dafür war, wie reagiert werden sollte.

Achtsamkeitspraktiken im Team helfen, Folgendes zu beeinflussen:

  • Entscheidungsfindung
  • Qualität der Kommunikation
  • Fähigkeit des Konfliktmanagements

Was sind Deine Top 3 Praxis-Tipps für mehr Achtsamkeit in Beruf und Privatleben?

Für mich sind die besten Praktiken Mini-Übungen. Das sind Übungen, die man innerhalb von fünf Minuten machen kann, aber sofort Auswirkungen auf das Nervensystem zeigen.

Physiological Sigh ist so eine Mini-Übung. Sie funktioniert folgendermaßen: Tief einatmen, bis man nicht mehr kann, nochmal einatmen, dann ausatmen mit einem Seufzer. Es beruhigt sofort.

Ali ist eine schöne Übung, bevor man z.B. in einen Meetingraum oder daheim durch die Tür tritt: Ali steht für atmen, lächeln, innehalten. Das sorgt innerhalb von Sekunden für einen Glücklich-Kick, einen Serotonin-Kick. Es wird eingeatmet, ein großes Lächeln wird aufs Gesicht gebracht, dann ausgeatmet. Ali schafft Wohlbefinden und löst Entspannung. Sofort begegnet man Menschen mit mehr Wohlwollen.

Der Crazy Shake ist eine tolle Übung, denn wir dürfen unseren Körper auch für etwas anderes nutzen, als für Sitzen und Tippen. Wenn man merkt, dass man ganz steif wird, schüttelt man Körper und Hände richtig gut aus. In den kurzen 30–40 Sekunden löst sich der Körper, Anspannung und Verspannung verschwinden und machen Platz für neue Inhalte, neue Ideen und Kreativität. Der Crazy Shake macht sofort Platz im Kopf.

Du berätst auch: Wo gibt es die größten Aha-Momente in solchen Situationen?

Jedes Training beginnt mit einer Achtsamkeitspraktik. Viele sind danach erstaunt, dass sie aktiv bemerken, wie sie sich entspannt haben, oder auch wie schlecht sie atmen. Anderen war gar nicht bewusst, wie viele Gedanken sie in ihrem Kopf haben.

Was ist Dir ganz persönlich beim Thema Achtsamkeit am wichtigsten?

Ich habe meinen Zugang zum Thema Achtsamkeit durch meine eigene Erfahrung gefunden. Durch Yoga und Meditation bin ich mir selbst näher gekommen. Ich war zufriedener, produktiver. Und das in einem Raum, wo ich mich nicht ausgebrannt habe.

Daraufhin habe ich mich mit der Forschung zu diesem Thema mehr beschäftigt. Für mich ist Achtsamkeit eine große Antwort darauf, wie wir die Herausforderungen der heutigen Zeit meistern können. Wie wir als Menschen aus der eigenen Kraft heraus Lösungen entwickeln können. Deshalb möchte ich das weiter vermitteln. In die eigene Kraft kommen, um Wirken zu gestalten und damit unsere Zukunft.

Wie sieht es mit Umsetzungskosten aus?

13 % der Mitarbeiter sind engagiert. Das wiederum bedeutet, dass ein großer Teil der aktuellen Beschäftigen wenig bis keinen Antrieb verspürt, sich angemessen in ihrem Job einzubringen. Die verursachten Kosten können bis zu ½ Million Euro betragen. Der Mitarbeiter kostet 80.000 Euro im Jahr – auf mehrere Jahre unproduktiver Arbeit ist das ein teurer Posten. Der neue Mitarbeiter kostet das Unternehmen wieder 80.000 Euro, dazu kommen 2–3 Jahresgehälter für das Recruiting.

Im Schnitt kostet das Achtsamkeitstraining bei myndway 500–600 Euro. Ein großer Unterschied.

Ich sage immer: Investiert in die Mitarbeitenden, die da sind. Denn die Investition in einen Mitarbeiter, der nicht engagiert ist, steht in keinem Verhältnis.

Welche Investitionen haben sich aus Deiner Erfahrung heraus am meisten gelohnt?

Trainingsprogramme mit Fokus auf Führungskräfte sind absolut lohnenswert und eine Investition, die sich auszahlt. Besonders effektiv sind drei bis vier Wochen dauernde Trainings, die aus mindestens vier Einheiten bestehen. Diese nachhaltigen Trainings sind darauf ausgelegt, echte Veränderungen zu bewirken. Während Sensibilisierungsformate gut sind, garantieren sie nicht unbedingt eine Verhaltensänderung. Daher empfehle ich allen Unternehmen, in nachhaltige Führungskräftetrainings zu investieren, um langfristige Verbesserungen zu erzielen.

 

Über Dr. Martina Weifenbach

Dr. Martina Weifenbach ist Vorreiterin in der Verknüpfung von Achtsamkeit, nachhaltiger Innovation und Good Work. Frau Dr. Weifenbach ist Autorin von “Achtsamkeit und Innovation in integrierten Organisationen” und “Erfolgsformel Achtsamkeit”, Executive Coach und Geschäftsführerin von myndway. myndway bringt den achtsamen Transformationsansatz von Frau Dr. Weifenbach in Trainings für Führungskräfte und Teams zusammen. In mittlerweile über 1.000 Achtsamkeitstrainings hat sie internationale Konzerne und Mittelstand aus unterschiedlichsten Industrien begleitet.

Dr. Weifenbach hat für Unternehmen wie die Dt. Telekom, Google und Mercedes Benz sowie in Berliner Startups in den Bereichen Innovation, Strategie und HR gearbeitet. Während ihrer Promotion an der Universität St. Gallen, am HIIG in Berlin und an der UC Berkeley über Geschäftsmodellinnovation hat sie ein Kognitionsmodell für die Gestaltung von Veränderungsprozessen entwickelt. Die Neurowissenschaft ergänzt ihren Zugang um die menschliche Bewusstseinsperspektive. Diese wird zunehmend wichtiger, um die neue Arbeitswelt zu gestalten, ohne die Veränderungen auf Pauschallösungen zu reduzieren.

Als Speakerin, Dozentin und Beraterin trägt Frau Dr. Weifenbach ihre Vision von menschlichen und erfolgreichen Unternehmen in die Welt. Die Ur-Allgäuerin, die sich nach Berlin verirrt hat und geblieben ist, liebt schöne Bergtouren, ihre Familie und Yoga.

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