Servant Leadership – Führungsstil für die Zukunft?

Der Führungsstil Servant Leadership ist in Deutschland noch nicht allen bekannt. Begründet von Robert K. Greenleaf zeichnet er sich dadurch aus, den Mitarbeitenden jegliche Unterstützung zukommen zu lassen, um selbstorganisiert und eigenverantwortlich arbeiten zu können.

Die Deutsche Elisabeth Riedl lebt seit 2017 in der Schweiz. Als studierte Apothekerin leitet sie ein Team im Bereich Medical Data bei der HCI Solutions AG mit Sitz in Bern. Neben der Erfassung von strukturierten Arzneimitteldaten bietet HCI Solutions auch eine Clinical Decision Support Software, welche als Medizinprodukt zertifiziert ist, an.
 
Elisabeth Riedl
Elisabeth Riedl
 
HCI Solutions AG gehört zum Konzern Galenica, der rund 8.000 Mitarbeitende hat. In dem Konzern wird ein großer Teil des Gesundheitsmarktes vernetzt: Apotheken, Drogisten, Grossisten, Arzneimittelhersteller. Seit mehreren Jahren wird dort bereits Servant Leadership als Führungsstil praktiziert.

Servant Leadership ist ein Führungsstil, der in Deutschland noch wenig bekannt ist. Was versteht man unter dem Stichwort?

Unter Servant Leadership kann man sich das Gegenteil von der klassischen Führung vorstellen: oben wird entschieden, der Prozess wird nach unten getragen und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen müssen ihn ausführen. Die Idee ist genau umgekehrt. Führungskräfte geben den Rahmen vor – was sehr wichtig ist – aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen vielmehr im Zentrum. Sie bekommen mehr Entscheidungskraft, ein gutes Arbeitsumfeld und größere Entscheidungskompetenzen. Der Sinn dahinter ist, dass sie ihre Projekte gut ausführen können. Die Führung ist dazu da, dem Mitarbeiter „zu dienen“.

Servant Leadership wurde nicht von heute auf morgen bei uns im Konzern eingeführt. Einige haben in Ansätzen schon intuitiv so geführt – denn es ist im Grunde genommen eine Einstellung, an der man arbeiten muss, die man lernen muss. Es ist ein Weg, auf dem sich die Unternehmenskultur entwickeln muss. Dieser Weg begann bei uns vor ein paar Jahren mit einem neuen CEO – und einer großen Transformation. Er hat Servant Leadership in den Konzern gebracht.

Wie ist der Führungsstil-Wechsel auf Servant Leadership von den Mitarbeitern aufgenommen worden?

So eine große Transformation wird unterschiedlich aufgenommen. Die einen waren sofort Feuer und Flamme, andere reagierten mit einer gewissen Unsicherheit. Für manche stellte es wiederum gar keine Änderung ihres Führungsstils dar, weil sie bereits „dienend“ führten.

Die Umsetzung von Servant Leadership ist in manchen Bereichen schwieriger als in anderen – nicht jeder Aufgabenbereich lässt den Wechsel zu. Für Unternehmen, die sehr kundenorientiert sind, ist das ein guter Führungsstil – denn diese Einstellung kann 1:1 an den Kunden weiter gebracht werden.

Für die Zufriedenheit der Mitarbeitenden ist es sehr wichtig, eigene Entscheidungen zu treffen und dass einem vertraut wird. In den heutigen Zeiten des Fachkräftemangels müssen Unternehmen um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kämpfen – und das ist ein sehr wichtiger Faktor FÜR diesen Führungsstil.

Foto von Brooke Cagle auf Unsplash

Ist der Prozess der Transformation auf Servant Leadership in eurem Konzern abgeschlossen?

Nein – der Prozess ist ongoing. Eine Änderung der Unternehmenskultur braucht Zeit – und ist grundsätzlich auch ein laufender Prozess.

Du warst zuerst in Deutschland in einem Unternehmen der Pharmabranche bei München tätig, danach in der Schweiz. Was waren für dich die größten Unterschiede den Führungsstil und die Teams betreffend?

In meinem vorherigen Job war die Hierarchie sehr genau zu spüren. So wurden bei uns die Vorgesetzten früher alle gesiezt. Das Erste, was bei Galenica eingeführt wurde, als der CEO seine Position übernahm, war das Duzen. Alle wurden geduzt. Das war in manchen Abteilungen neu. Es symbolisierte, dass wir auf Augenhöhe sind.

Ich habe das Gefühl, dass das Siezen in Deutschland noch sehr gelebt wird. Früher hat mich das nicht gestört, es war normal. Aber Duzen hat einen anderen Effekt.

Auch in den Teams hat sich viel geändert. Besonders auffällig ist die neue Transparenz untereinander. Wenn man sich auf Augenhöhe begegnen will und dem Einzelnen mehr Entscheidungskompetenz überlassen möchte, muss man sie auch informieren. Klar, das braucht mehr Meetings, was wiederum Zeit kostet.

Aber: Ich habe das Gefühl, dass man viel mehr Bescheid weiß, was wo anders läuft. Das ist ein wichtiger Punkt, den ich persönlich sehr stark spüre. Denn in den Projekten geht dadurch auch mehr voran – auch innerhalb des ganzen Konzerns.

Wie wird Servant Leadership in deinem Unternehmen speziell umgesetzt?

Stichwort Transparenz: Neu eingeführt wurde z.B. die Lunch-Lotterie. Dort bekommt man einmal im Monat eine Connection aus dem ganzen Unternehmen zufällig zugewiesen. Man trifft sich dann zum Mittagessen oder zu einem Teams-Meeting, lernt sich kennen, erfährt, was woanders läuft. Das erhöht die Transparenz.

Außerdem gibt es mehr Updates: Einmal im Monat für eine halbe Stunde stellen verschiedene Teams vor, was im letzten Monat passiert ist, darunter z.B. auch die Highlights, um andere daran teilhaben zu lassen.

Foto von Brooke Cagle auf Unsplash

Wie beeinflusst Servant Leadership die Arbeit im Team?

Ich kommuniziere auf Augenhöhe – ich bin so ein Mensch. Das ist schon immer mein Stil und auch mein Führungsstil. Es ist wichtig, dass man sich das immer wieder vor Augen hält. In meinem Team haben wir ein sehr gutes Teamverhältnis aufbauen können.

Was bedeutet Servant Leadership für die Führungskräfte von morgen? Gerade auch für die, die einen Wechsel in die Schweiz in Betracht ziehen?

Der Spieß hat sich ja gekehrt: Früher hast du einen Job gesucht und gehofft, dass du den Job bekommst. Heute brauchen die Unternehmen gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und diese können sich den Job aussuchen. Das Arbeitsumfeld dafür muss passen. Der Führungsstil ist deshalb auch in Deutschland ausschlaggebend, gerade im Hinblick auf ein attraktives Arbeitsumfeld.

Die Schweizerinnen und Schweizer sind sehr freiheitsliebend, so habe ich es erlebt. Servant Leadership gibt den Teams eine gewisse Selbstständigkeit – und das passt wunderbar zur Mentalität. Das Thema betrifft nämlich nicht nur die Führungskräfte, sondern auch die Mitarbeitenden. Selbstständig sein, Entscheidungen treffen, sich proaktiv informieren – das verlangt etwas. Deshalb ist der Führungsstil nicht nur ein Führungskräfte-Thema, sondern auch das der Mitarbeitenden.

Welche Vorteile würde Servant Leadership für deutsche Unternehmen mit sich bringen?

Es würde für eine bessere Kommunikation unter den Teams sorgen und den Mitarbeiter fördern. Der Führungsstil kitzelt viel besser das Potenzial aus den Mitarbeitern heraus. Es ist der Anti-Dienst nach Vorschrift.

 

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