Aufrichtigkeit in der Beratung: Drei unbequeme Wahrheiten

 

Warum Beratungen sich so schwer damit tun, klar Stellung zu beziehen – und was das über unsere Gesellschaft aussagt

 

In der Folge des Podcasts IN. UP! OUT? mit Moritz Neuhaus spricht unser Rainmaker Society Founder & CEO Dirk Schuran über ein Thema, das viele in der Consulting-Welt umtreibt – aber nur wenige offen ansprechen: Aufrichtigkeit in der Beratung. Es ist ein Blick auf Widersprüche, Opportunismus und systemische Zwänge. Es wird schnell klar: Das Problem liegt nicht nur in der Beratungsbranche selbst, sondern tief verwurzelt in der Art, wie wir gesellschaftlich mit Wahrheit, Meinung und Haltung umgehen.

1. Konsens statt Kante: Warum Berater lieber schweigen

In großen Beratungen zählen nicht nur Exzellenz und Strategie, sondern auch Anpassungsfähigkeit – manchmal bis zur Selbstverleugnung. Gerade in hochpolitisierten oder sensiblen Unternehmenskontexten ist es schwierig, klare Meinungen zu vertreten. Denn wer sich zu weit aus dem Fenster lehnt, riskiert den Auftrag.

„Einem Vorstandsvorsitzenden zu sagen: ‚Deine Strategie ist wirklich endgegnerscheiße‘ – das fällt einer Beratung extrem schwer. Weil die Eitelkeit auf diesem Level so hoch ist, dass sie mit aller Wahrscheinlichkeit dann den Auftrag los ist.“ Dirk Schuran

Daraus resultiert für Dirk, dass Beratungen sich zu Sprachrohren des Konsenses entwickeln. Sie vermitteln zwischen Kundensicht und eigener Perspektive, ohne zu polarisieren. Und genau das ist für viele zur Normalität geworden. Nicht etwa aus Feigheit, sondern aus einem tief verwurzelten Reflex heraus: Es bloß niemandem schwer machen zu wollen. Das eigentliche Problem ist aber ein anderes: Die Branche gerät dadurch in ein spieltheoretisches Dilemma, in dem jede Form von Haltung als Risiko gilt. Der Weg des geringsten Widerstands würde zur Norm – und damit auch zur Sackgasse.

2. Wunschdenken trifft Realität: Die Diskrepanz im Diversity-Diskurs

Ein besonders sensibler Punkt ist für viele Beratungen das Thema Diversität. Hier wird nach außen ein hoher Anspruch kommuniziert – aber intern oft mit ganz anderen Realitäten gerungen.

„Unternehmensberatungen proklamieren total oft, dass das Kundenunternehmen divers – damit meinen sie genderdivers – werden soll. […] Dann werden Frauen promoted, obwohl möglicherweise auch Männer die bessere Leistung gebracht haben. Das wird hinter dem Vorhang auch gesagt, aber nicht in der Öffentlichkeit.“ Dirk Schuran

Es geht hier nicht um einen Anti-Diversity-Standpunkt, sondern um einen ehrlichen Blick auf die Zerrissenheit zwischen Ideal und Machbarkeit. In Top-Positionen, in denen Berater tageweise um mehrere Tausend Euro pro Tag verkauft werden, kollidieren familiäre Realität und beruflicher Anspruch oft unversöhnlich. Und das weiß auch Dirk aus eigener Erfahrung. Wer diese Widersprüche anspricht, gerät schnell in Erklärungsnot. Denn nach außen soll das Image makellos sein. Nach innen bleibt vieles unausgesprochen. Das Resultat: Anspruch und Wirklichkeit driften auseinander.

3. Angst vor Haltung: Wenn Positionierung zum Karrierekiller wird

In einer Zeit, in der fast jede Äußerung in der Öffentlichkeit landen kann, fällt es vielen Beratungen zunehmend schwer, sich klar zu positionieren. Wer Haltung zeigt, riskiert, jemanden vor den Kopf zu stoßen – intern wie extern.

„Viele stehen nicht mehr dafür, was sie tun, weil sie Angst haben. Let’s name it: ‚Wir fliegen für einen Kunden um die halbe Welt – sonst macht es jemand Anderes.‘“ Dirk Schuran
 
Foto von TERRA auf Unsplash

Was hier anklingt, ist mehr als nur persönliche Frustration. Es ist ein Spiegel unserer Zeit: Die Angst vor öffentlicher Kritik, vor Imageschaden, vor wirtschaftlichen Nachteilen führt dazu, dass echte Meinungen seltener werden. Und wenn sie doch ausgesprochen werden, dann oft hinter vorgehaltener Hand. Das Ergebnis: Ein Beratungsmarkt, der sich lieber hinter Buzzwords wie Impact, Transformation oder Diversity versteckt, statt unbequeme Wahrheiten anzusprechen.

Zwischen Opportunismus und Ethik: Der Beratungsbranche fehlt der Mut

Die Branche hat sich verändert. Früher saßen bekannte Persönlichkeiten in Talkshows und vertraten Positionen mit klarer Kante. Heute ist das fast undenkbar. Die Gründe? Man kennt sich. Man will niemandem wehtun. Man will „sauber“ dastehen.

„Ich beobachte immer wieder ein großes Problem: Leute spielen Ethik und Verantwortung nur. Was sie aber eigentlich vor Augen haben: Ich bin Berater – solange ich genügend Kohle habe/verdiene, läuft alles prima.“ Dirk Schuran

Diese Entwicklung ist nicht nur ein Problem für die Glaubwürdigkeit der Beratungsbranche – sie betrifft auch ihre Zukunftsfähigkeit. Wer sich nicht traut, unangenehme Wahrheiten auszusprechen, wird langfristig keine echten Transformationen begleiten können.

Aufrichtigkeit beginnt mit unbequemen Fragen

Die zentrale Erkenntnis aus dem Gespräch ist unbequem – und deshalb umso wertvoller: Aufrichtigkeit in der Beratung ist möglich, aber sie kostet auch: Haltung, Mut, Klarheit. Und manchmal Aufträge. Doch ohne diese Aufrichtigkeit bleibt Beratung nur ein Schatten ihrer selbst – poliert, angepasst, austauschbar. Die Branche braucht mehr Mut zur Meinung, mehr Ecken und Kanten, mehr Realitätssinn. Und dafür braucht es vor allem eines: Menschen, die sich trauen, unbequeme Dinge auszusprechen. Auch wenn es Konsequenzen hat.

 

Über die Gesprächspartner: Dirk Schuran ist Gründer und CEO der Rainmaker Society. Nach Stationen bei der Financial Times Deutschland, der WELT-Gruppe und COMATCH bringt er Medienkompetenz, unternehmerische Erfahrung und Beratungswissen zusammen. Moritz Neuhaus ist Gründer und CEO der Insight Consulting GmbH in Berlin. Mit seinem Podcast IN. UP! OUT? gibt er Einblicke in echte Karrieren, echte Entscheidungen und echte Haltung. Seine Mission: Führungspersönlichkeiten sichtbar machen – klar, meinungsstark und mit Wirkung.

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