Zukunftsforschung: Im Dreieck zwischen Innovation, Trend und Zukunft
Zukunftsforschung ist eine relativ neue Wissenschaft. Norbert Hillinger ist als Innovation Consultant mittendrin im Thema. Er erklärt, wieso es immer mehrere Zukünfte gibt und wie diese Vorhersagen die Gegenwart beeinflussen.
Wir alle denken über unsere Zukunft nach, wir machen Pläne, setzen uns Ziele. Wir versuchen, in eine Glaskugel zu sehen, die es nicht gibt. Zukunftsforscher schauen auf einen Zeithorizont von 10 bis 15 Jahren in die Zukunft. Sie überlegen dabei nicht nur eine, sondern mehrere mögliche Zukünfte. Basis dafür sind Vergangenheit und Gegenwart.
Interessant wird es schlussendlich bei der Rückschau, wenn messbare Ergebnisse zu finden sind. Dabei gibt es immer wieder richtig gute Aussagen, die nahe an der Gegenwart lagen. Aber selbstverständlich auch Wissenschaftler, die daneben lagen.
„Wir überschätzen das, was wir in zwei bis drei Jahren machen können – und wir unterschätzen, welcher Wandel in 10 Jahren möglich ist.“ Bill Gates
Zukunftsforschung in der Vergangenheit
In der Zukunftsforschung hat der Blick zurück einen besonderen Stellenwert. Wir können auf viele Beispiele schauen, wie sich Menschen, sei es Wissenschaftler, Autoren oder auch Filmset-Designer, die Zukunft vorgestellt haben. Star Trek ist so ein Beispiel. Gäbe es die Forschung rund ums Beamen (Nobelpreis für Physik 2022 für den Österreichischen Quantenphysiker Anton Zeilinger) auch, wenn es in der Serie nicht vorgekommen wäre?
1899–1901 hat sich eine Initiative von Künstlern Gedanken darüber gemacht, wie das Jahr 2000 aussehen könnte. Sie haben sich dabei spezielle Fragen gestellt:
- Was macht der Schneider in 100 Jahren?
- Wie könnte Schule in 100 Jahren aussehen?
- Wie arbeitet die Hausfrau in 100 Jahren?
„Auf gewisse, naive Art haben die Vorhersagen etwas Reales an sich. Die Künstler konnten die Erfindung der Fernbedienung vorhersagen – die Hausfrau bedient den Besen damit. Was all die Bilder jedoch vereint, ist, dass sich das Rollenbild nicht verändert hat, z.B. das der Hausfrau.“ Norbert Hillinger
Die moderne Zukunftsforschung
Die Zukunftsforschung ist eine sehr junge Disziplin, die mit verschiedenen Methoden arbeitet. Nicht zu verwechseln ist sie mit der Trendforschung. Dieses Fach ist eng mit der Marktforschung verbunden und kann, im Gegensatz zur Zukunftsforschung, nicht als Studienfach belegt werden.
Definition
„Die Zukunftsforschung ist die wissenschaftliche Befassung mit wünschbaren, möglichen und wahrscheinlichen Zukunftsentwicklungen und Gestaltungsoptionen sowie deren Voraussetzungen in Vergangenheit und Gegenwart.“ Rolf Kreibich
Wie schnell passiert Wandel?
Anhand des Beispiels Old Economy / New Economy, der Umstieg von einer Wirtschaftsweise, die auf Warenproduktion ausgerichtet war, auf eine, die auf Dienstleistungen, insbesondere webbasierte Dienste, ausgerichtet ist, kann Wandel gut zusammengefasst werden. Das Wachstum erfolgt jedoch nie linear, sondern exponentiell. Deshalb muss es in zwei Realitäten dargestellt werden.
Ein Trend geht immer einen bestimmten Weg (siehe Gartner Hype Cycle for Emerging Tech, 2022). Er steigt stark bergauf, am Peak finden sich die Fragen der Nachhaltigkeit und der ethischen Vertretbarkeit, wodurch der Trend wieder abflacht, um schließlich nach Beantwortung der Fragen in der Bedeutungslosigkeit zu versinken oder im Mainstream anzukommen.
„Wandel passiert oft so schnell. Auf einem Foto aus dem Jahr 1905 sieht man die 5th Avenue in New York – ein Auto, sonst lauter Pferdefuhrwerke. Fünf Jahre später, 1910, gleiche Stadt, gleiche Straße, sind nur noch Autos unterwegs und ein Pferdewagen. Und das in so kurzer Zeit.“ Norbert Hillinger
Heutzutage ist die Nutzerbereitschaft, neue Technologien auszuprobieren, stark gestiegen. Dauerte es noch Jahre, bis der Fernseher in der großen Masse angekommen war, hat es für KI Modelle nicht einmal Tage gedauert. Das hängt einerseits natürlich mit den finanziellen Kosten zusammen, andererseits aber auch mit der Akzeptanz neuer Dinge. Ein Motor dafür sind laut Hillinger unvorhersehbare Ereignisse, wie z.B. eine Pandemie. Die hat in Märkten wie Deutschland für Umdenken und Beschleunigung gesorgt.
Normalität in 2035
Norbert Hillinger befasst sich in seiner Arbeit mit möglichen Zukunftsszenarien im Jahr 2035. Basis dafür ist immer die Vergangenheit und Gegenwart, aus der er Schlüsse für die Zukunft zieht. Auch er nutzt zur Einteilung Kategorien, wie die Künstlerinitiative zur vorherigen Jahrhundertwende.
Ernährung: Fleisch
Der Konsum von Fleisch wird drastisch zurückgehen. Andras Forgács produziert Fleisch und Leder ohne Tiere zu töten. Musste sein Burger-Pattie vor Jahren noch unglaublich teuer hergestellt werden, kann es jetzt auch beim Discounter gekauft werden.
Behausung
Wie wir wohnen, was uns Behausungen kosten und wie lange Bauzeiten dauern – dem stehen große Veränderungen bevor. Die Projekte sind technologisch von größtem Interesse, genauso wie von den wirtschaftlichen und sozialen Faktoren her.
- Die 1.200 m2 große Villa von Winsun in China wurde in nur zwei Tagen mit dem 3D-Drucker gedruckt – für einen Bruchteil der Kosten.
- Die Firma Icon baut 75 m2 große Häuser in 24 Stunden um 4.000 Dollar.
„Brauchen wir überhaupt noch Häuser, die 100 Jahre lang stehen?“ Norbert Hillinger
Mobilität
- Massentransport: Dirk Ahlborn ist der CEO von HTT, Hyperloop Transportation Technologies. Mit Überschallgeschwindigkeit will er Menschen durch eine Vakuumröhre transportieren, um lange Strecken schneller zu überwinden. Für den Hyperloop gibt es bereits in Toulouse eine Teststrecke.
- Autonomes Fahren: Das Gemeinschaftsunternehmen Monet von Toyota und Technologie-Investor Softbank baut aktuell in Japan eine „Europalette auf vier Rädern“, die autonom durch die Präfekturen fährt. Darin kann ein Arztzimmer, ein Supermarkt usw. integriert werden und zur Versorgung von entlegenen Regionen beitragen.
Gesundheit
Langlebigkeit ist laut Norbert Hillinger einer der Zukunftsmärkte schlechthin.
„Hier werden schon steile Thesen aufgestellt, dass der erste Mensch, der 1000 Jahre alt werden wird, schon lebt.“ Norbert Hillinger
Kommunikation
50.000 Satelliten wurden genehmigt und werden von Starlink (SpaceX) bis 2030 in die Erdumlaufbahn geschossen. Die Kosten dafür sinken, sodass die Art und Weise, wie Internet oder Mobile Provider funktionieren, sich verändern wird.
Bezahlung
Die Bezahlung wird digitaler, auch wenn Deutschland immer noch ein Bargeld-Land ist. Kryptowährungen können hier eine große Rolle spielen.
Energie
Im europäischen Markt tut sich beim Thema Energie einiges. ITER, ein experimenteller Kernfusionsreaktor, der stabile Fusionsreaktionen erreichen soll, steht in den Startlöchern. Bis 2035 soll er in Vollbetrieb gehen.
Rekapitulation 2035
- Wir essen gedrucktes Fleisch.
- Wir leben in gedruckten Häusern.
- Wir werden in Röhren und autonomen Fahrzeugen bewegt.
- Wir verlängern unser Leben und bleiben gesund.
- Unsere Daten fallen vom Himmel (Satelliten).
- Unser Geld kommt aus dem Rechner (Kryptowährung).
- Unsere Energie stammt aus einer künstlichen Sonne.
Klingt alles nach Science Fiction – aber es fließen jetzt schon sehr viele Gelder in diese Projekte.
Was ist ein Trend?
Trend ist das erste Anzeichen für Wandel auf verschiedenen Ebenen:
- sozialer Wandel
- technologischer Wandel
- ökonomischer Wandel
- ökologischer Wandel
- politischer Wandel
Zeitlich lassen sich folgende Trends beobachten:
- Mikrotrends (Stilentwicklungen)
- Makrotrends (globale Trends)
- Megatrends (generationenübergreifender Wandel)
Was ist Innovation?
Der Begriff Innovation umfasst die Entwicklung und Auslieferung von Kundenmehrwert mit einem Geschäftsmodell von einem Unternehmen. Das unterscheidet die Innovation von einem Trend.
Innovation ist pure Ungewissheit und fordert Mut zu neuen Perspektiven. Innovation braucht Visionäre, die auch umstritten sind, die bereit sind, Geld und Risiko zu nehmen, um Neues zu schaffen. Hier ist Kreativität gefragt.
„Es geht immer um das Können, das Wollen und das Dürfen, manchmal auch das Müssen.“ Norbert Hillinger
Kann man als Zukunftsforscher positiv in die Zukunft blicken?
„Das ist für mich tagesverfassungsabhängig. Je länger man den Markt beobachtet, umso mehr regt man sich darüber auf. Aber ja – ich schaue immer noch positiv der Zukunft entgegen, wenn es um Deutschland und Österreich geht. Technologie ist oft Neuland und schließlich das, was wir draus machen. Gleichzeitig bleibt es aber super spannend.“ Norbert Hillinger
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Über Norbert Hillinger
Norbert begleitet seit über eineinhalb Jahrzehnten Unternehmen vor allem aus den Branchen Retail, Entertainment und Financial Services in ihrer Innovationsarbeit. Der gebürtige Österreicher hilft seinen Kunden dabei, die verschiedenen Methoden der Trend- und Zukunftsforschung anzuwenden und beschäftigt sich dabei mit möglichen, wünschbaren und wahrscheinlichen Zukunftsentwicklungen.
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